Die Familie von Johanna Mayer, geborene Krämer

Die englische Übersetzung finden Sie auf dieser Seite

Am 26. September 2023 wurde in Lich in der Kolnhäuser Str. 15 (früher Butzbacherstr. 19) ein Stolperstein zum Gedenken an Johanna Mayer, geb. Krämer, verlegt. Johanna lebte von September 1932 bis Oktober 1936 in Lich im Haus ihrer Tochter Irene und ihres Schwiegersohns Julius Bamberger.

Wir können die Vorfahren von Johanna mindestens bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in der Gegend des kleinen Ortes Nieder Weisel in Hessen, etwa 21 km westlich von Lich, zurückverfolgen. Jahr 1880, als Johanna noch in den Kinderschuhen steckte, war Nieder Weisel eine kleine Stadt mit etwa 1330 Einwohnern; die jüdische Gemeinde zählte 83 Einwohner.1https://www.alemannia-judaica.de/nieder-weisel_synagoge.htm

Johannas Ururgroßvater, Samuel Krämer I, wurde um 1770 geboren. Samuel und seine Frau Rebecka brachten 1803 den Sohn Liebmann zur Welt. Liebmann Krämer wiederum heiratete Bettchen Lazarus, und sie lebten in Nieder Weisel und gründeten eine vierköpfige Familie: Zerline, Samuel, Abraham und Löb.  Auf dem jüdischen Friedhof von Nieder-Wiesel findet man die Grabsteine von Liebmann (rechts) und Bule (geb. Lazarus) Krämer (links).

Bule Kraemer gravestone, Nieder Weisel Jewish cemetery.

Mit freundlicher Genehmigung: Archiv der Familie Bamberger

Der Vater von Johanna, Samuel Krämer II, geb. 1837, war das zweite Kind und der erste Sohn von Liebmann und Bettchen. Jahr 1864 heiratete Samuel Regina Strauss, und zwischen Juni 1865 und 1878 gründeten sie eine Familie mit sechs Kindern: 4 Töchter und 2 Söhne. Johanna, geb. 1878, war die jüngste Tochter und das letzte Kind. 1914 feierten Samuel und Regina ihre „Goldene Hochzeit“. In den frühen 1920er Jahren starben sie: Samuel Jahr 1921 und Regina Jahr 1923. Beide sind auf dem jüdischen Friedhof in Nieder Weisel begraben.

Johanna lebte bis 1902 in Nieder Weisel, als sie Hugo Mayer heiratete. Sie zog dann in seinen Heimatort Wohnbach, der etwa 12 km Luftlinie östlich von Nieder Weisel liegt. Johanna und Hugo hatten zwei Kinder, beide Mädchen: Irene, geb. 1903, und Paula, geb. 1907. Jahr 1926 verließ Irene Wohnbach nach ihrer Heirat mit Julius Bamberger und zog nach Lich, etwa 15 km nördlich.

Jahr 1926 heiratete Johannas älteste Tochter Irene Julius Bamberger und zog nach Lich, etwa 15 km nördlich von Wohnbach. Zwischen 1927 und 1931 überschattete eine Reihe von Todesfällen die Familie. 1927 und 1928 verloren Irene und Julius zwei Kinder, das erste war wahrscheinlich eine Totgeburt; das zweite, eine Tochter, die sie Inge nannten, lebte 1928 nur wenige Wochen. Dann, Januar 1931, starb Johannas Ehemann Hugo Mayer; vier Monate später starb auch Johannas Tochter und Irenes Schwester Paula.

Am 14. September 1932 zog Johanna Mayer, 54 Jahre alt, von Wohnbach nach Lich zu Irene und Julius. Sie kam in einen lebhaften Haushalt: Das dritte Kind, Renate Bamberger, geb. am 19. Juli 1930, hatte ihren zweiten Geburtstag erreicht, und ihr Bruder Hugo war vier Monate alt.

Hugo u. Renate Bamberger, 1932, Lich. Foto: Familie Bamberger.

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Die Tochter und der Schwiegersohn von Johanna erkannten schon früh in der Zeit des Nazi-Regimes, dass sie Deutschland verlassen und anderswo Zuflucht suchen sollten. August 1936 konnte Julius Bamberger Deutschland in Richtung Südafrika verlassen. Oktober 1936 verließ Johanna mit Tochter Irene und den Enkelkindern Renate und Hugo Lich und zog nach Frankfurt am Main, um so schnell wie möglich auswandern zu können. Sie wohnten in einer Wohnung in der Rotteckstr. 10.

Januar 1939 konnten Irene, Renate und Hugo mit Hilfe des Roten Kreuzes Deutschland verlassen, aber Johanna konnte sie aus unbekannten Gründen nicht begleiten. Sie zog in die Tiergartenstraße 28, wo sie bis November 1941 lebte. Am 22. November 1941 wurde Johanna von Frankfurt a/Main aus mit einem Transport von etwa 990 Juden nach Kaunas im besetzten Litauen deportiert. Der Transport kam am 25. November 1941 an; die Männer, Frauen und Kinder wurden sofort nach Fort IX gebracht und vom Einsatzkommando ermordet. Johanna Mayer, geborene Krämer, war 63 Jahre alt.

Das Schicksal von Johannas Geschwistern war gemischt: Ihre Schwester Berta starb 1871, ihre älteste Schwester Rosalie starb 1925 eines natürlichen Todes. Von denjenigen, die zu Beginn des Naziregimes noch lebten, gelang einer Schwester, Süda, die Flucht aus Deutschland und die Einwanderung nach Uruguay.  Ihr Bruder, Adolf (Abraham), teilte das Schicksal von Johanna. Adolf, der seit 1928 Witwer war, zog Juli 1938 nach Bad Nauheim. Während des Kristallnachtpogroms vom 9./10. November 1938 wurde er verhaftet und fünf Wochen lang in Buchenwald inhaftiert. März 1940 verließ er Bad Nauheim und zog nach Frankfurt a/Main, möglicherweise in der Hoffnung, dass seine Auswanderungspläne aufgehen würden, was aber, wie bei Johanna, nicht der Fall war. Ob er und Johanna 1940 und 1941 in der Nähe wohnten, ist unklar; 1942 wohnte er in der Hapsburger Alle 16. Am 1. September 1942 wurde Adolf von Frankfurt aus in das Ghetto Theresienstadt und von dort am 29. September 1942 in die Tötungsanstalt Treblinka deportiert.

Das Schicksal des anderen Bruders von Johanna, Isaak Leopold, ist unklar. Als 2018 Stolpersteine für ihn und seine Frau Auguste (geb. Schwarz) verlegt wurden, war der Kenntnisstand in Nieder Weisel, dass das Paar Deutschland 1938 in Richtung Frankreich verlassen hatte und sich bis 1942 jede Spur verloren hatte. In den Stolpersteinen heißt es, ihr „Schicksal unbekannt“. Man nahm an, dass sie nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden. Bis heute wurden jedoch keine Aufzeichnungen im Gedenkbuch des Deutschen Nationalarchivs, im Arolsen Archiv oder in Yad Vashem gefunden.

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Die Nachkommenliste gibt einen Überblick über die Familie von Samuel und Regina (geb. Strauss) Krämer. Der Hinweis auf ihren 50. Hochzeitstag stammt aus einem Sammelalbum im Familienarchiv der Familie Irene (geb. Mayer) und Julius Bamberger.

Quelle: Familie Bamberger

„Goldenes Hochzeitsjubiläum
Herr Samuel Krämer und Frau Regina, geb. Strauss, feierten heute im Kreise ihrer Enkel und Urenkel freudig ihre Goldene Hochzeit. Er ist 79 Jahre alt, sie 72.“